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Praxisgruppe „Klassismus und trans*inter*nicht-binär“ gewinnt den Waltraud-Schiffels-Preis für trans* Empowerment

Praxisgruppe „Klassismus und trans*inter*nicht-binär“ gewinnt den Waltraud-Schiffels-Preis für trans* Empowerment

Wir, Frede Krischan Macioszek und Gregöre Elisabeth Hamann, freuen uns sehr, dass wir mit der Praxisgruppe „Klassismus und trans*inter*nicht-binär“ den diesjährigen Waltraud-Schiffels-Preis gewonnen haben!

Wir planen aktuell im August 2023 eine öffentliche Veranstaltung zu dem Thema sowie eine weitere Praxisgruppe, die im April 2023 starten soll. Mehr Infos zur Idee hinter den Praxisgruppen finden sich hier.

Zusätzlich zur Erklärung der Hannchen-Mehrzweck-Stiftung wollen wir noch ein paar der Überlegungen teilen, die uns im Moment zur Praxisgruppe und ihren Themen beschäftigen.

Wichtig ist uns zu betonen, dass wir mit der Praxisgruppe in einem gemeinsamen Such- und Lernprozess sind, hier erst mal nur für uns sprechen und gleichzeitig nicht losgelöst sind von den Erfahrungen und dem Wissen anderer. Hinzu kommt, dass wir nicht für Menschen mit inter* Identität sprechen können und wollen, da wir beide selber endo sind sowie zur Verschränkung von Rassismus, Klassismus und trans*Feindlichkeit, da wir beide weiß sind.

Klassismus und trans*Feindlichkeit können leider oft einhergehen, z.B. auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt nach Coming Outs, die zu Erwerbslosigkeit oder Armut führen können.

Das lässt sich als trans*feindliche Ausgrenzung verstehen, die klassistisch wirken kann und mit der wiederum eigene klassistische Mechanismen, Stereotype und Abwertungen einhergehen können. Trans*feindliche Ausgrenzungen in Kontexten von Lohnarbeit und Wohnungsmarkt und weitere einzelne Schritte einer Transition können ganz anders aufgefangen werden, wenn Personen klassenprivilegiert(er) sind und z.B. Erspartes haben, ein Erbe erwarten, soziales und kulturelles Kapital haben wie akademische Abschlüße, Kontakte zu Ärzt*innen etc.

Die ökonomischen und sozialen Ressourcen, die in einer Klassengesellschaft mit unterschiedlichen Klassenpositionen einhergehen, erleichtern oder erschweren den Zugang zu medizinischen Eingriffen, anwaltlichen Vertretung bei Personenstandsänderungen, in der Auseinandersetzung mit Krankenkassen etc.

In einer queeren Identität würdevoll altern zu können oder einer demütigenden Pflege oder ärztlichen Aufsicht ausgesetzt sein zu müssen, kann und wird auch eine Frage von Klasse sein.

Menschen, die beispielsweise ein Haus erben werden für ihre queere Familienbande im Alter oder das Geld zur Verfügung haben eine tin-sensible oder selber queere Pflegekraft zu bezahlen, haben eine andere Aussicht, andere Gefühle ihrer erwarteten Zukunft gegenüber. Und das kann wiederum starke Auswirkungen darauf haben wie wir die Gegenwart sehen und durchs Leben gehen.

Klasse und Gesundheit/Krankheit ist ein eigenes großes Thema. Sowohl für trans*Feindlichkeit genauso wie für Klassismus ist erforscht, dass es die Wahrscheinlichkeit Depressionen oder Suizidgedanken zu entwickeln im Laufe eines Lebens stark erhöht, wobei sich die Effekte und das Leid in ihrer Verschränkung verstärken können. Kranksein kann wiederum zu Ausschlüssen führen wie Ableismus und unsichtbare BeHinderung.

Der Zusammenhang von BeHinderten-, Klassen- und trans*Feindlichkeit liegt z.B. im „nicht-funktionieren Können“ innerhalb eines Systems, das die eigene Existenz abstreitet, erschwert oder den Wert des Menschen überwiegend in der Produktionskraft sieht.

Eine weitere Erfahrung kann der (verlorene) Kontakt zur Herkunftsfamilie sein. Für nicht wenige trans* Personen ist (Herkunfts-)Familie etwas, das eher zu „überstehen“ ist, mit potentieller Trennung und Konflikten einhergeht. Mit der Entwicklung der eigenen queeren/tin Identität kann ein Verwenden von Codes und Sprache einhergehen, die aus klassenprivilegierten, wissenschaftlichen Kontexten kommen, was wiederum zu Entfremdung und nicht gesehen werden oder Verständnislosigkeit in der Herkunftsfamilie führen kann. Genauso ist es möglich, sich in der neuen queeren Wahlfamilie niemals wirklich zuhause oder zugehörig zu fühlen, weil dort viele Menschen einen anderen Klassenhintergrund haben. Damit einhergeht geht die Befürchtung und Gefahr mit der eigenen Geschichte und dem Anderssein Aufsehen zu erregen, „zu laut“, „zu aggressiv“, „zu unkultiviert“ zu sein, „aufzufallen“, darüber abgewertet oder sogar ausgeschlossen zu werden.

Hinzu kommt die Frage mit wie viel Selbstsicherheit, Überzeugungskraft und in Kenntnis der herrschenden Codes und Sprache ich aufgrund des erlernten kulturellen Kapitals in queeren/tin Communities auftreten kann und ob ich Rückhalt und soziale Anerkennung erhalte, gehört werde oder nicht.

Queere und trans* Communities brauchen Orte, um Gemeinschaften werden zu können, seien dies Küchen oder Wohnzimmer in Privatwohnungen, Kneipen, Ladenprojekte, Gruppenräume in queeren Beratungsstellen.

Gentrifizierung als gewaltvolle Verdrängung von Menschen ohne die notwendigen finanziellen Ressourcen aus gewachsenen Nachbar*innenschaften und dem Stadtzentrum in Randbezirke oder gar andere Städte betrifft auch und besonders trans*inter*nicht-binäre Menschen, die ebenfalls Klassismus erfahren (haben).

Wichtig finden wir ebenfalls die Kritik, die um den sogenannten „rainbow capitalism“ vorgebracht wurde und der zusammenhängenden Frage welche Themen von queeren Organisationen über die letzten Jahrzehnte und gegenwärtig gesetzt und gefördert werden.

Nach den Kämpfen und Erfolgen der Vergangenheit sind diese Organisationen in der Gefahr sich weiter vor allem auf die Interessen von Menschen aus der Mittelklasse auszurichten und Themen wie die Altersarmut vieler Queers oder die Ausgrenzung von trans* auf dem Arbeitsmarkt vergessen oder an den Rand gedrängt werden.

Eine weitere wichtige Intersektion zeigt sich, wenn wir mit trans* und nicht-binären Personen sprechen, die Sexarbeit machen und von prekären Verhältnissen und schlechten Arbeitsbedingungen betroffen sind, weil Sexarbeit in der Gesellschaft weiterhin stigmatisiert ist und nicht als reguläre Arbeit anerkannt wird.

Es ist jedoch auch möglich Verschränkungen im Hinblick auf Empowerment zu sehen: Wir verstehen Geschlecht als etwas, das sozial konstruiert wird. Transition und das Abweichen von cis-Geschlechtlichkeit erfolgt viel in eigenen Communities, die stärkend und unterstützend sein können, eine Sichtbarkeit herstellen von „es geht noch anderen Leuten so wie mir“, „ich bin nicht alleine“, die andere Normalitäten für die eigene Gruppe herstellen.

Dann kann es besonders verletzend sein, wenn die Gemeinsamkeiten und Überschneidungen in Prozessen um Geschlecht durch Klassenunterschiede/-positionen und einhergehende Verletzungen und Privilegien wieder trennend erlebt werden. Genauso stärkend kann es aber auch sein, sich dann in Empowerment-Gruppen wie unseren Praxisgruppen zu begegnen, aber auch in klassenübergreifenden/gemischten Gruppen. Denn Privilegien sind ja an sich nichts Schlechtes, können geteilt und zum Vorteil aller genutzt werden. Wir haben Hoffnung auf eine wachsende Sensibilität und Verbündetenschaft untereinander, gerade in tin, queeren und feministischen Communities.

Hierfür ist wichtig, über eigene Klassenhintergründe und -zugehörigkeiten zu sprechen, Gefühlen wie Schuld und Scham einen Raum zu geben und dann aber auch darüber hinweg zu kommen, die eigenen Privilegien zu teilen, auch und gerade da wo es schwieriger wird.

Ein Vorschlag ist, das eigene erwartete Erbe zu vergemeinschaften oder teilen, indem das Vorgehen schon heute vertraglich und notariell festgelegt wird, statt in der Zukunft auf glückliche Umstände, die weiterhin passende (politische) Einstellung oder eine stabile Beziehung miteinander zu hoffen. Bei diesen Fragen geht es nicht darum sich als „guter politischer Mensch“ zu profilieren, sondern um Gerechtigkeit und in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Auch wenn wir nichts für eine klassenprivilegierte Position können, in die wir hineingeboren wurden, liegt es in unserer Verantwortung die Verhältnisse für die Gegenwart und Zukunft zu verändern.

Und damit auch möglichst schon im Hier und Jetzt gute Beziehungen gelingen, finden wir es wichtig sich anzuschauen wie das klassenübergreifend gelingen kann. Schwierige Gefühle wie Wut, Trauer oder Angst, aufgrund von klassenbezogenen Unterschieden und Ungerechtigkeiten werden in den Beziehungen vielleicht öfter erst mal weggedrückt, da sie eben schwierig sind, eine reale Gefahr von Trennung oder zumindest Belastung der Beziehung im Raum sein kann. In den Praxisgruppen wird es möglich sich erst mal untereinander, mit ähnlich klassenpositionierten Menschen auszutauschen, sich die Gefühle wieder einzugestehen, um dann gemeinsam herauszufinden wie wir damit wieder in die Handlungsfähigkeit kommen können, was wir davon in die Beziehungen tragen wollen.

Dahinter steht dann wiederum die größere Frage, was wir uns von feministischen/queeren/tin-Communities wünschen, im Bezug auf unsere/n Klassenhintergrund/-position.

In der Entstehungsgeschichte und Weiterentwicklung von Konzepten und Theorien um Klassismus gibt es eine große Nähe zu queeren Communities: Die lesbische Gruppe „The Furies“ hat in ihrem Sammelband „Class and Feminism“ (1974) einen Grundstein für die herrschaftskritische Auseinandersetzung um Klassismus gelegt. In den 80er Jahren gab es in Deutschland Prololesbengruppen wie Tanja Abou in „Prololesben und Arbeiter*innentöchter – Interventionen in den feministischen Mainstream der 1980er- und 1990er-Jahre“ im Sammelband „Solidarisch gegen Klassismus“ schreibt, der von Francis Seeck und Brigitte Theißl herausgegeben wurde. Zurzeit bewegen sich z.B. Kes Otter Lieffe und Francis Seeck in ihrer Arbeit an den Schnittstellen von Geschlecht/trans* und Klassismus, sowie die Kampagne „Bread, Roses and Hormones“ von der Red Braid Alliance.

Und zum Schluß noch zu uns:

Gregöre Elisabeth Hamann ist nicht-binär trans*weiblich, weiß und hat einen ostdeutschen Armutsklassenhintergrund mit prekärer Klassenreise, auf dessen Weg auch ein Uni-Bildungsabschluß rumlag. Sier entdeckt seit bald 5 Jahren immer wieder neue Werkzeuge aus der paradoxerweise auch doll akademisierten Schatzkiste namens „Klassismus“. Neben allem Empowerment und Berührtsein über den Austausch, ist sier auch immer wieder mal niedergeschlagen über die scheinbare Unabänderlichkeit und Ungerechtigkeit der herrschenden Strukturen. Dahinter schlägt bei sies ein starkes und oft ängstliches Herz, das sich doll Veränderung wünscht und manchmal auch daran glauben kann. Mehr Infos gibt es auf: www.gregoere-begleitung.de oder @gregoere_eli

Frede Krischan Macioszek ist trans*, endo, weiß, hat einen post-ost Spätaussiedler*innenhintergrund und ist in einer katholischen Herkunftsfamilie groß geworden. Klassenübergänger*in und in erster Generation studiert und seit einigen Jahren in wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Kontexten zu verschiedenen Themen tätig. Neben Klassismus lehrt und schreibt es zu Themen rund um Geschlecht, Sexualität, Scham und Verletzlichkeit. Sammelbandherausgeber*in https://www.edition-assemblage.de/buecher/klassenfahrt/ @frede_krisch.

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